Mapping Klee

Intro

Mapping Klee 05.09.20 – 24.01.21

Film und Fotografie, Relativitätstheorie und Psychoanalyse – am Anfang des 20. Jahrhunderts liefert die akademische Malerei keine Antworten mehr auf das moderne Leben. Röntgenstrahlen und das Mikroskop eröffnen den Blick auf die inneren Strukturen, die elementaren Bausteine des Lebens. Viele Künstlerinnen und Künstler experimentieren mit neuen Ausdrucksformen jenseits der illusionistischen Darstellung der sichtbaren Welt. Figuration oder Abstraktion – das ist die zentrale Frage der Moderne. Paul Klee (1879–1940) hat darauf seine eigene Antwort gefunden.

Paul Klee, Ohne Titel (Mathilde, die Schwester des Künstlers), 1903, Ölfarbe und Aquarell auf Karton , 27,5 x 31,5 cm Zentrum Paul Klee, Bern

Ein Porträt der Schwester Paul Klees von 1903 – in seinem Tagebuch beschreibt der 24-jährige Künstler, wie unbefriedigend er seine figurativen Malversuche findet.

Paul Klee, abstract, farbige Kreise durch Farbbänder verbunden, 1914, 218, Aquarell auf Papier auf Karton, 11,7 x 17,2 cm Zentrum Paul Klee, Bern

Wie kann ein abstraktes Bild Raumtiefe und Dynamik ausdrücken? Die farbigen Kreise in Klees Komposition scheinen sich im Bildraum zu bewegen.

Paul Klee, Ansicht v. Kairuan, 1914, 73, Aquarell und Bleistift auf Papier auf Karton, 8,4 x 21,1 cm Franz Marc Museum, Kochel am See, Dauerleihgabe aus Privatbesitz

Mit 34 Jahren entwickelt Klee die Grundlage für eine eigene Bildsprache auf der Basis geometrischer Strukturen.

Paul Klee, Segelschiffe, 1927, 225, Bleistift und Aquarell auf Papier auf Karton, 22,8 x 30,2 cm Zentrum Paul Klee, Bern

Abstrakte Formen auf blauem Grund – und doch klingt in der Komposition der rhythmischen Linien und Formen das sanfte Schaukeln der Segelboote an.

Paul Klee, Park bei Lu., 1938, 129, Öl- und Kleisterfarbe auf Papier auf Jute; originale Rahmenleisten, 100 x 70 cm Zentrum Paul Klee, Bern

Am Ende von Klees Schaffen verbinden sich lyrische Farbklänge mit einer zeichenhaften Reduktion auf das Wesen der Dinge: Natur und Wachstum werden hier nicht abgebildet, sondern in ihrer universellen Struktur sichtbar gemacht.

Ein Porträt der Schwester Paul Klees von 1903 – in seinem Tagebuch beschreibt der 24-jährige Künstler, wie unbefriedigend er seine figurativen Malversuche findet.

Klees aussergewöhnliche Bildwelten sind das Resultat einer komplexen künstlerischen Entwicklung. Auf seinen Reisen erhält er entscheidende Impulse, die er zum Teil erst Jahre später umsetzen kann. Es sind Erlebnisse mit Langzeitwirkung. Fünf dieser Reisen geben Einblick in Klees künstlerische Entwicklung: vom ratlosen Studenten zu einem der wichtigsten Künstler der Moderne. Doch was macht seine Kunst so einzigartig?

Italien 1901

1901 ITALIEN
Die grosse Ratlosigkeit

Paul Klee, Ohne Titel (Blumen), um 1903, Ölfarbe auf Leinwand auf Karton; originaler Rahmen, 36,5 x 31 cm Zentrum Paul Klee, Bern

Paul Klee empfindet seine Ausbildung in München als akademisch und veraltet. Er bricht sein Kunststudium ab und unternimmt eine Bildungsreise durch Italien.

  • Ansichtskarte von Paul Klee an Hans Bloesch (Foro Romano – Tempio di Castore e Polluce), 26.11.1901 Burgerbibliothek Bern, FA Bloesch
  • Paul Klee und Hermann Haller auf der Tiberbrücke, Rom, Februar 1902 Fotograf: Karl Schmoll von Eisenwerth, Zentrum Paul Klee, Bern, Schenkung Familie Klee
  • Paul Klee und Hermann Haller in Rom, Februar 1902 Fotograf: Karl Schmoll von Eisenwerth, Zentrum Paul Klee, Bern, Schenkung Familie Klee
  • Ansichtskarte von Paul Klee an Mathilde Klee (Rom / Roma, Panorama vom Monte Pincio), 26.01.1902 Privatbesitz Schweiz, Depositum im Zentrum Paul Klee, Bern

Rund sieben Monate hält sich Klee mit seinem Freund Hermann Haller in Italien auf. Sie besuchen die berühmten Kulturstätten in Pisa, Rom, Neapel, Pompei und Florenz. 
Die Gemälde der Renaissance beeindrucken den angehenden Künstler. Ihre religiösen und mythologischen Themen hält er jedoch für veraltet. Ihm fehlt der Bezug zu den Fragen seiner Zeit.

Italienreisen

Italien ist über Jahrhunderte das Reiseziel vieler Künstlerinnen und Künstler, die eine Sehnsucht nach klassischen Altertümern verspüren. Da Griechenland bis Anfang des 19. Jahrhunderts Teil des osmanischen Reiches ist, bietet sich das Land in Südeuropa als Alternative an. Albrecht Dürer, Peter Paul Rubens, Angelika Kauffmann und viele andere finden hier wichtige Impulse für ihre künstlerische Entwicklung. Sie studieren dort Kunst und Architektur der Antike, der Renaissance und des Barock.

Auch Gelehrte wie der Mitbegründer der Kunstgeschichte Jacob Burckhardt oder der Dichter und Naturforscher Johann Wolfgang von Goethe unternehmen Studienreisen durch Italien. Sie verarbeiten ihre Erkenntnisse in Büchern, die auch Paul Klee auf seiner Italienreise begleiten. Durch die Lektüre von Burckhardts «Der Cicerone» erkennt Klee Parallelen in der Gestaltung von Architektur und Natur. Burckhardt versteht die italienischen Bauten als lebendige Organismen. Er fordert, das «innere Wesen» der Bauten zu studieren und sich nicht darauf zu beschränken, was das Auge sieht. Auch mit Goethes «Italienischer Reise» setzt sich Klee intensiv auseinander.

Italien 1 Paul Klee, Tagebuch, November 1901

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«Und unzeitgemäss etwas leisten zu wollen kommt mir suspekt vor. Grosse Ratlosigkeit.»

Paul Klee, Tagebuch, November 1901

Anders als mit den Gemälden ergeht es Klee mit der Architektur der Renaissance. Ihre klar gegliederten Strukturen basieren auf mathematischen Gesetzmässigkeiten. Rhythmus und Proportion bestimmen nicht nur den Baukörper, sondern werden auch in der Gestaltung der Fassaden sichtbar gemacht.

Analyse der Archi­tek­tur

In den Gebäuden der Renaissance erkennt Klee allgemeingültige Gestaltungsgesetze, nach denen er für seine Kunst sucht.

«Ich sehe überall nur Architektur, Linienrhyth­men, Flächen­rhyth­men.»

Paul Klee, Tagebuch, 1902
Ansichtskarte von Paul Klee an Hans Bloesch (Firenze – La Cattedrale), 22.04.1902 Burgerbibliothek Bern, FA Bloesch Paul Klee, Santa A. in B, 1929, 170, Feder und Kreide auf Papier auf Karton, 21 x 32,9 cm Zentrum Paul Klee, Bern

Architektur

Für Klee machen diese Strukturen das eigentliche Wesen der Gebäude aus. Statt die Oberfläche abzubilden, könnte die neue Aufgabe der Kunst im Sichtbarmachen der elementaren Ordnung und Struktur liegen.

Aber Klee findet für diese Erkenntnis erst Jahre später geeignete künstlerische Ausdrucksformen. In der Zeichnung «Santa A. in B.» versucht er die Ordnung eines Stadtpanoramas mithilfe einer abstrakten, die einzelnen Elemente verbindenden Grundstruktur zu erfassen.

Studium der Natur

In der Beobachtung von Pflanzen und Tieren führt Klee seine Suche nach Gesetz­mässigkeiten fort.

Klee entdeckt das Prinzip der Grundstruktur nicht nur in der Architektur, sondern auch in der Natur. Am 23. März 1902 trifft er in Neapel ein. Er besucht dort das öffentliche Aquarium Stazione Zoologica di Napoli, das vom deutschen Zoologen Anton Dohrn 1872 zur Förderung der Meeresforschung gegründet wurde und bis heute existiert. Die Unterwasserwelt wird für Klee zum Inbegriff der Entstehung und der Vielfalt des Lebens.

Titelblatt, Stazione Zoologica di Napoli (Hg.), Guida per l'Acquario della Stazione Zoologica di Napoli Modena: 1890 Paul Klee, Fisch=Leute, 1927, 11, Ölfarbe und Tempera auf Grundierung auf Leinwand auf Karton, 28,5 x 50,5/51 cm Zentrum Paul Klee, Bern

Die Zeichnung auf dem Titelblatt des Aquariumführers zeigt die Vielfalt der Unterwasserwelt: Schnecken, Krabben, Kraken und Fische. Jahre später verarbeitet Klee diese Erfahrung künstlerisch: Er zeigt den Blick in ein Aquarium. Fische und Menschengesichter lassen sich kaum auseinanderhalten.

Italien 2 Paul Klee, Brief an Lily Stumpf, München, Dienstag, 25. März 1902

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«Schliesslich ward ich religiös und bewunderte die Verschwendung an göttlicher Phantasie, während ich mich fragte, wozu diese Formen und Farben, wenn kein Mensch hinkommt?»

Paul Klee, Brief an Lily Stumpf, München, Dienstag, 25. März 1902

Wie viele Künstler der Moderne sucht Klee nach Ausdrucksformen für das Elementare, die «Bausteine des Lebens». Nicht die Natur abbilden – wie er es an der Akademie gelernt hatte –, sondern wie die Natur selbst Neues erschaffen, setzt er sich zum Ziel. Anregung zu seiner Suche nach allgemeingültigen Gesetzen in der Natur findet er bei Johann Wolfgang von Goethe.

Goethes Naturstudium

Um 1780 herum setzt sich Johann Wolfgang von Goethe erstmals mit der Botanik auseinander. Auch während seines Italienaufenthaltes führt er diese Studien weiter. 1790 erscheint sein erster naturwissenschaftlicher Text unter dem Titel «Versuch die Metamorphosen der Pflanzen zu erklären». Damit gilt Goethe als einer der Mitbegründer der vergleichenden Morphologie, die versucht, Organismen anhand von charakteristischen Merkmalen zu klassifizieren.

Durch die Lektüre von Goethes Schriften fühlt sich Klee in seiner Suche nach universellen Gesetzmässigkeiten in der Schöpfung bestätigt. In der «Italienischen Reise» unterstreicht er dessen Satz: «Ich habe eine Vermutung, dass sie [die griechischen Künstler] nach eben den Gesetzen verfuhren, nach welchen die Natur verfährt und denen ich auf der Spur bin. Nur ist noch etwas anderes dabei, das ich nicht auszusprechen wüsste.» Auf Goethes Frage, ob er die Urpflanze entdecken könne, notiert Klee in Berndeutsch am Seitenrand: «chasch lang luege!» [kannst lange schauen!]. Klee glaubt nicht an eine konkrete Urpflanze, sondern an ein der Natur innenwohnendes Urgesetz, das die vielfältigsten pflanzlichen Formen ermöglicht.

Organismus

«Ich zeichnete einige auffallend geformte Baumstämme des Parkes der Villa Borghese. Die Liniengesetze sind hier ähnliche wie beim menschl. Körper, nur gebundener. Die Errungenschaften verwerte ich sofort in m. Kompositionen.»

Paul Klee, Tagebuch, Rom, Januar 1902
Paul Klee, Ohne Titel (Herbstlandschaft mit See und Bäumen), 1902 gespalten 1, Ölfarbe und Bleistift auf Karton, 28,5 x 32,5 cm Privatbesitz Schweiz, Depositum im Zentrum Paul Klee, Bern

Nach über einem halben Jahr in Italien zieht Klee sich in seine Heimatstadt Bern zurück. Vier Jahre lang lebt er wieder im Elternhaus. Er versucht, sich autodidaktisch weiterzubilden, und studiert nun auch die Anatomie – die innere Grundstruktur des menschlichen Körpers.

Nach der Heirat mit Lily Stumpf kehrt Klee 1906 nach München zurück. Die Stadt hat damals den Ruf einer Hauptstadt der Künste. Wichtige Künstlerinnen und Künstler wie Gabriele Münter, Marianne von Werefkin, Alfred Kubin, Alexej von Jawlensky suchen dort nach neuen Wegen jenseits der akademischen Kunst.

Der Blaue Reiter

Die Künstlervereinigung Der Blaue Reiter entsteht 1911 in München als loser Zusammenschluss. Ein Jahr später erscheint ein gleichnamiges Buch mit Bildern und Beiträgen über zeitgenössische Kunstströmungen – der sogenannte Almanach. Den Verfassern Wassily Kandinsky und Franz Marc geht es um das «Geistige in der Kunst». Die von ihnen angestrebte «wahre» Kunst hat zum Ziel, beim Betrachter «seelische Vibrationen» auszulösen. Ein weiterer wichtiger Aspekt des Almanachs ist die Gegenüberstellung und Gleichbehandlung von Kunstwerken unterschiedlicher Völker sowie von Kinder- und Laienkunst aus verschiedenen Epochen.

Parallel zum Almanach organisieren Kandinsky und Marc zwei Ausstellungen in München. Die erste umfasst neben eigenen Werken auch Arbeiten von August Macke, Gabriele Münter, Henri Rousseau, Robert Delaunay oder Heinrich Campendonk. Im Frühjahr 1912 folgt eine zweite Ausstellung, in der auch Klee mit einigen Arbeiten vertreten ist. Die Künstler des Blauen Reiter pflegen einen intensiven Austausch mit anderen Avantgardebewegungen, darunter auch mit französischen Künstlern wie Robert Delaunay und Henri Le Fauconnier.

1911 hat Klee die beiden Wortführer des Blauen Reiters, Franz Marc und Wassily Kandinsky, kennengelernt und damit Anschluss an die Münchner Kunstszene gefunden. Gleichzeitig sieht er in den Münchner Galerien Werke von Künstlern der französischen Avantgarde.

Paris 1912

1912 PARIS
Gedanken zum Kubismus

Paul Klee, mit dem Regenbogen, 1917, 56, Aquarell auf Grundierung auf Papier auf Karton , 17,4 x 20,8 cm Privatbesitz Schweiz, Depositum im Zentrum Paul Klee, Bern

1912 unternimmt Paul Klee eine Reise nach Paris. Dort begegnet er den Werken der Kubisten und entdeckt bei Robert Delaunay abstrakte Kompositionen aus Farbflächen.

Jahrhundertelang war Rom die Hauptstadt der Künste. Anfang des 20. Jahrhunderts pilgern Künstlerinnen und Künstler aus ganz Europa nach Paris. Die französische Metropole wird zur Drehscheibe einer internationalen Avantgarde. Ein Netzwerk aus Künstlern und Galeristen ist der Nährboden für die Entstehung neuer Kunstrichtungen der Moderne, die in aufsehenerregenden Ausstellungen präsentiert werden.

  • Tagebuch III, Nr. 911-912, S. 130-131, 1912 Zentrum Paul Klee, Bern, Bildnachweis: Zentrum Paul Klee, Bern, Bildarchiv
  • Galerie Bernheim-Jeune
  • Daniel-Henry Kahnweiler im Atelier am Boulevard de Clichy 11 bpk | RMN - Grand Palais | Pablo Picasso, © Succession Picasso / 2020, by ProLitteris, Zurich Alle Urheberrechte bleiben vorbehalten. Sämtliche Reproduktionen sowie jegliche andere Nutzungen ohne Genehmigung durch ProLitteris - mit Ausnahme des individuellen und privaten Abrufens der Werke - sind verboten.

In seinem Tagebuch hält Klee die Stationen seiner Reise fest: Er unternimmt eine Fahrt auf der Seine, besucht unter anderem den Louvre, Notre Dame und verschiedene Galerien. Bernheim-Jeune ist eine der ersten Galerien, die Kunst der Moderne zeigt und verkauft. Klee sieht dort Werke von Henri Matisse.

Daniel-Henry Kahnweiler eröffnet 1907 seine erste Galerie in Paris und wird zum wichtigsten Kunsthändler der Moderne. In Kahnweilers «Laden» sieht Klee Bilder von André Derain, Pablo Picasso und Maurice de Vlaminck.

Neue Bild­per­spek­tive

Die vollkommen neuartige Darstellung von Raum und Gegenstand im Kubismus eröffnet Klee eine neue Sicht auf die Welt.

Der Fortschritt in der Moderne entwickelt eine ungeheure Dynamik. Blauer Reiter, Futurismus, Expressionismus, Fauvismus … Die Zeit der «Ismen» ist angebrochen. Überall entstehen neue Kunstrichtungen. In Paris ist das zu dieser Zeit vor allem der Kubismus. In den Galerien begegnet Klee den Werken von Georges Braque und Pablo Picasso. Auf Vermittlung Kandinskys besucht Klee Henri Le Fauconnier und Robert Delaunay in ihren Ateliers.

Georges Braque, Der Portugiese (Der Emigrant), 1911–1912, Öl auf Leinwand, 116.7 x 81.5 cm Kunstmuseum Basel, Schenkung Dr. h.c. Raoul La Roche 1952, © 2020, by ProLitteris, Zurich Alle Urheberrechte bleiben vorbehalten. Sämtliche Reproduktionen sowie jegliche andere Nutzungen ohne Genehmigung durch ProLitteris - mit Ausnahme des individuellen und privaten Abrufens der Werke - sind verboten.

Georges Braques Darstellung eines Portugiesen ist kein klassisches Porträt mehr. In kühner Aufsplitterung der Figur in geometrische Flächen geht er über die äussere Erscheinung des Sichtbaren hinaus.

Pablo Picasso, Flasche, Klarinette, Geige, Zeitung und Glas, 1913, Öl auf Leinwand, 55 x 46 cm Kunstmuseum Bern, Legat Georges F. Keller 1981, © Succession Picasso / 2020, by ProLitteris, Zurich Alle Urheberrechte bleiben vorbehalten. Sämtliche Reproduktionen sowie jegliche andere Nutzungen ohne Genehmigung durch ProLitteris - mit Ausnahme des individuellen und privaten Abrufens der Werke - sind verboten.

Picasso zeigt Gegenstände, die nur noch bruchstückhaft erkennbar sind. Er löst die Unterscheidung zwischen Gegenstand und Raum auf und verbindet sie in einer Bildebene. Die Farbigkeit wird deutlich reduziert.

Henri Victor Gabriel Le Fauconnier, Der Jäger, circa 1912, Öl auf Leinwand, 203 x 166 cm Collection of the Gemeentemuseum Den Haag

Im Zentrum von Le Fauconniers Gemälde steht ein Jäger in weissen Hosen und Stiefeln mit seiner Flinte. Durch die Zerlegung in kubische Formen ist die Person aber kaum noch zu erkennen.

Georges Braques Darstellung eines Portugiesen ist kein klassisches Porträt mehr. In kühner Aufsplitterung der Figur in geometrische Flächen geht er über die äussere Erscheinung des Sichtbaren hinaus.

Kubismus

Georges Braque und Pablo Picasso entwickeln um 1908 den Kubismus. Sie geben die perspektivische Raumdarstellung auf, mit der seit der Renaissance die Illusion räumlicher Tiefe im Bild erzeugt wurde. Die Gegenstände werden nicht mehr von einem festen Standpunkt aus gesehen, sondern gleichzeitig aus verschiedenen Winkeln betrachtet. Das Dargestellte wird in kubische Formen zerlegt und vermittelt den Eindruck von zersplitterten Strukturen. Die Darstellung dreidimensionaler Objekte auf der zweidimensionalen Bildfläche gelingt dadurch ohne Rückgriff auf die illusionistische Sinnestäuschung. Stattdessen entwickeln die Künstler eine vollkommen andere Darstellungsweise der sichtbaren Welt, in der Raum und Zeit in ein neues Verhältnis gesetzt werden. Trotz ihrer abstrahierenden Komposition bleiben Motive wie Menschen und Gegenstände in kubistischen Werken noch erkennbar.

Die kubistischen Bilder, die Klee in Paris sieht, sind ein radikaler Versuch, das Bild nicht mehr vom darzustellenden Objekt her zu denken, sondern mit den formalen Gestaltungselementen neue Kraft- und Raumverhältnisse zu schaffen.

Klee ist von der Konstruktion des Bildraumes fasziniert, die nicht mehr an die Zentralperspektive gebunden ist. Die extreme Fragmentierung der Gegenstände und Figuren beurteilt er jedoch kritisch. Damit ist auch die entscheidende Frage an die Malerei gestellt: Braucht es überhaupt noch einen abzubildenden Gegenstand im Bild?

Paris 1 Paul Klee, Die Alpen, Die Ausstellung des Modernen Bundes im Kunsthaus Zürich, Heft 12, August 1912

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«Zerstörung, der Konstruktion zuliebe? Gleichgültigkeit dem Gegenstand gegenüber und zugleich Reklame für ihn durch seine krasse Maltraitierung?»

Paul Klee, Die Alpen, Die Ausstellung des Modernen Bundes im Kunsthaus Zürich, Heft 12, August 1912

Bildtiefe

Das Bild zeigt, wie sich Klee unmittelbar nach Paris mit Raum und Tiefe beschäftigt. Details verschwinden in der reduzierten Federzeichnung hinter der Komposition. Nach wie vor hält Klee am alten Trick der Zentralperspektive fest, um die Sogwirkung der Häuserfluchten darzustellen. Es gelingt ihm erst später, die kubistische Raumdarstellung in seine eigenen Bildkompositionen zu übersetzen.

Paul Klee, Laterne in d. Stadt, 1912, 72, Aquarell, Feder und Bleistift auf Papier auf Karton, 12,9 x 16,2/15,6 cm Zentrum Paul Klee, Bern, Leihgabe aus Privatbesitz
Paul Klee, Ohne Titel, 1914, 152, Feder auf Papier auf Karton, 19.8 x 15 cm Zentrum Paul Klee, Bern

Anfangs übernimmt Klee das kubistische Liniengerüst in grafischen Darstellungen.

Paul Klee, mit der roten Fahne, 1915, 248, Aquarell, Ölfarbe und Bleistift auf Kreidegrundierung auf dreiteiligem Karton; originaler Rahmen, 31 x 26 cm Zentrum Paul Klee, Bern, Schenkung Livia Klee

Besondere Bildformen des Kubismus sind ovale Gemälde. Klee gestaltet hingegen ein achteckiges Bild, in dem sich die Komposition nicht wie bei den Kubisten dem Format unterordnet. Die rechteckigen Formen werden vom Rand abgeschnitten.

Paul Klee, Städtebau mit grünem Kirchturm, 1919, 191, Aquarell, Gouache und Feder auf Papier, oben und unten Kupferpapierstreifen angesetzt, auf Karton, 30.3 x 13 cm Zentrum Paul Klee, Bern

In dieser Städtearchitektur zerlegt Klee die Gebäude in Fragmente. Häuser werden auf der Bildfläche auseinandergefaltet und aus verschiedenen Perspektiven dargestellt. Mit diesem Werk greift Klee erst sieben Jahre nach Paris auf die kubistischen Impulse zurück.

Anfangs übernimmt Klee das kubistische Liniengerüst in grafischen Darstellungen.

Auf­lö­sung des Gegen­standes

Die Begegnung mit den Werken Robert Delaunays ist für Klee eine Offenbarung. Der Gegenstand im Bild verliert seine Bedeutung.

Am 11. April 1912 besucht Paul Klee Robert Delaunay in dessen Pariser Atelier. Dort sieht er Delaunays Fensterbilder, in denen der Künstler den Kubismus weiterführt. Den Blick durch sein Fenster auf die Stadt hält er in abstrakten Farbfeldern fest. Er versucht, mit den Farben die spektrale Zusammensetzung des Lichtes darzustellen.

Robert Delaunay, Fenêtres ouvertes simultanément (1ère partie 3ème motif), 1912, Öl auf Leinwand 457 x 375 mm Photo ©Tate.

Die bekannten «Fenêtre» (Fenster)-Bilder entstehen seit 1909 und zeigen als Hauptmotiv den Eiffelturm.

Robert Delaunay, Kreisformen, 1912, Tempera und Öl auf Leinwand, 65 x 54 cm Kunstmuseum Bern

Ab 1912 entwickelt Delaunay die Fensterbilder in den «Formes circulaires» (Kreisformen) zu reinen Abstraktionen weiter.

Die bekannten «Fenêtre» (Fenster)-Bilder entstehen seit 1909 und zeigen als Hauptmotiv den Eiffelturm.

Delaunay arbeitet ausschliesslich mit Farben und reduzierten Formen. Klee schätzt diese abstrakten Farbfeld-Kompositionen mehr als die rein kubistischen Werke, die er wegen der Darstellung von Gegenständen als inkonsequent erachtet.

Paris 2 Paul Klee, Die Alpen, Die Ausstellung des Modernen Bundes im Kunsthaus Zürich, Heft 12, August 1912

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«Dieser Inkonsequenz hat derjenige Künstler, der an ihr gerade besonders laborierte, Delaunay, einer der geistvollsten unserer Zeit, in verblüffend einfacher Weise dadurch abzuhelfen gewusst, dass er den Typus eines selbständigen Bildes schuf, das ohne Motive aus der Natur ein ganz abstraktes Formdasein führt.»

Paul Klee, Die Alpen, Die Ausstellung des Modernen Bundes im Kunsthaus Zürich, Heft 12, August 1912
Paul Klee, abstract, farbige Kreise durch Farbbänder verbunden, 1914, 218, Aquarell auf Papier auf Karton, 11,7 x 17,2 cm Zentrum Paul Klee, Bern

1914 nähert sich Klee endgültig den Bildern von Delaunay und übersetzt diese in eine eigene dynamische Komposition aus abstrakten Formen und Farben.

Paul Klee, mit dem Regenbogen, 1917, 56, Aquarell auf Grundierung auf Papier auf Karton , 17,4 x 20,8 cm Privatbesitz Schweiz, Depositum im Zentrum Paul Klee, Bern

Die Dynamik und Farbigkeit der «Kreisformen» von Delaunay überträgt Klee in eckige, farbige Bänder.

1914 nähert sich Klee endgültig den Bildern von Delaunay und übersetzt diese in eine eigene dynamische Komposition aus abstrakten Formen und Farben.

Farbfelder

Paul Klee verdankt dem Werk und den Theorien Delaunays einen neuen Zugang zu Farbe, Licht und Abstraktion. Es gelingt ihm jedoch erst später Stadt- und Lichteindrücke in gegenstandslose Bilder, die von grosser Dynamik geprägt sind, zu übersetzen.

Tunesien 1914

1914 TUNESIEN
Entdeckung der Städte­architektur

Paul Klee, (im Stil v Kairouan, ins gemässigte übertragen), 1914, 211, Aquarell und Bleistift auf Papier auf Karton, 12,3 x 19,5 cm Zentrum Paul Klee, Bern

Paul Klees Tunesienreise ist zum Mythos geworden. Sie steht für den Durchbruch des Künstlers zur Farbe. Tatsächlich ist es aber die kubische Architektur Tunesiens, die Klee zu einer neuen Kompositionsweise anregt.

  • Paul Klee und August Macke auf der Schiffsreise von Marseille nach Tunis (aus dem Fotoalbum von August Macke), April 1914, Fotograf: Louis Moilliet LWL-Museum für Kunst und Kultur, Westfälisches Landesmuseum, Münster /Macke-Archiv, Fotonachweis: LWL-Museum für Kunst und Kultur, Westfälisches Landesmuseum, Münster /Sabine Ahlbrand-Dornseif
  • Paul Klee und August Macke mit Fremdenführer vor der Barbier-Moschee, Kairuan (aus dem Fotoalbum von August Macke), April 1914, Fotograf: Louis Moilliet LWL-Museum für Kunst und Kultur, Westfälisches Landesmuseum, Münster /Macke-Archiv, Fotonachweis: LWL-Museum für Kunst und Kultur, Westfälisches Landesmuseum, Münster /Sabine Ahlbrand-Dornseif
  • Paul Klee am Strand von St. Germain (aus dem Fotoalbum von August Macke), April 1914, Fotograf: August Macke LWL-Museum für Kunst und Kultur, Westfälisches Landesmuseum, Münster /Macke-Archiv, Fotonachweis: LWL-Museum für Kunst und Kultur, Westfälisches Landesmuseum, Münster /Sabine Ahlbrand-Dornseif
  • Paul Klee und August Macke mit ihren Malsachen (aus dem Fotoalbum von August Macke), April 1914, Fotograf: Louis Moilliet LWL-Museum für Kunst und Kultur, Westfälisches Landesmuseum, Münster /Macke-Archiv, Fotonachweis: LWL-Museum für Kunst und Kultur, Westfälisches Landesmuseum, Münster /Sabine Ahlbrand-Dornseif
  • Ansichtskarte von Paul Klee an Louise Frick (Tunis, Minarett der Grossen Moschee), 12.04.1914 Privatbesitz Schweiz, Depositum im Zentrum Paul Klee, Bern

1914 reist Klee mit den Malern Louis Moilliet und August Macke nach Tunesien. Zwei Wochen lang sind sie auf den üblichen Touristenpfaden unterwegs – von Tunis über St. Germain und Hammamet bis nach Kairuan. Moilliet ist bereits 1908 und 1909 in Tunesien gewesen und übernimmt die Rolle des Reiseführers.

Die Tunesienreise

1910 ist in München die Ausstellung «Meisterwerke Muhammedanischer Kunst» zu sehen, die bei Kandinsky, Marc und Macke einen nachhaltigen Eindruck hinterlässt. Klee erwähnt das Ereignis nicht. Die Kunst des muslimischen Orients scheint ihn nicht besonders interessiert zu haben. Was ihn bei seinen Reisen nach Tunesien und später Ägypten am meisten beeindruckt, sind Landschaft und Stadtarchitektur sowie die Farben und das Licht dieser Länder.

Viele Künstler und Bekannte aus Klees Umfeld reisen nach Nordafrika, das unter der französischen Kolonialherrschaft für Europäer zugänglich war. Sie suchten dort nach Anregungen jenseits des klassizistischen Kanons und genossen gewisse Freiheiten fern von der gewohnten Gesellschaftsordnung. Kandinsky und Münter besuchen 1904/05 für mehrere Monate Tunesien. Auch Mackes künftige Gattin Elisabeth Gerhardt hält sich mit ihrer Mutter in Tunis auf. Moilliet reist 1908 als Gast des Berner Ehepaares Dr. Ernst und Rosa Jäggi-Müller nach Tunesien und besucht sie 1909/10 nochmals für mehrere Monate.

Der Plan zu einer gemeinsamen «Studienfahrt» nach Tunesien, auf der «einer den andern anregt», entsteht auf Initiative Klees. Die Reise soll durch Gönner und im Austausch mit Bildern finanziert werden. August Macke kann die Finanzierung seiner Reise selbst organisieren, da er bereits gut verkauft. Louis Moilliet bemüht sich bei Dr. Jäggi, der Klee und Moilliet auch in seiner Stadtwohnung in Tunis übernachten lässt, um Unterstützung für die Reisekosten.

Louis Moilliet malt in dieser Zeit nur drei Aquarelle, ganz im Gegensatz zu seinen Freunden. Schon nach wenigen Tagen berichtet Macke, dass er eine Arbeitsfreude verspürt, wie er sie bisher nicht kannte. Er ist ein hervorragender Aquarellist, der Strassenszenen in bunten, leuchtenden Farben schildert. Klee ist zu diesem Zeitpunkt im Umgang mit Farbe noch immer sehr zögerlich.

August Macke, Markt in Tunis I, 1914, Aquarell und wenig Deckweiss über Bleistift auf Aquarellkarton, 29 x 22,5 cm Privatsammlung, Courtesy Thole Rotermund Kunsthandel, Hamburg

In Aquarellen und Zeichnungen hält August Macke die neuen Eindrücke der orientalischen Welt fest.

Louis Moilliet, St. Germain bei Tunis, 1914, Aquarell auf Papier, 20,7 x 26,6 cm Zentrum Paul Klee, Bern, © 2020, by ProLitteris, Zurich Alle Urheberrechte bleiben vorbehalten. Sämtliche Reproduktionen sowie jegliche andere Nutzungen ohne Genehmigung durch ProLitteris - mit Ausnahme des individuellen und privaten Abrufens der Werke - sind verboten.

Louis Moilliet malt nur selten so abstrakt und reduziert wie hier. Unter dem Einfluss von Macke setzt er sich mit dem Kontrast der Farben Gelb und Blau auseinander.

Paul Klee, vor den Toren v. Kairuan, 1914, 216, Aquarell auf Papier auf Karton, 20,7 x 31,5 cm Zentrum Paul Klee, Bern

Im Gegensatz zu Macke interessiert sich Klee kaum für die neuen Motive. Er erprobt vielmehr einen neuartigen Bildaufbau, basierend auf einfachen Strukturen.

In Aquarellen und Zeichnungen hält August Macke die neuen Eindrücke der orientalischen Welt fest.

Bild­archi­tek­tur

In Tunis ist Klee von der lokalen Architektur fasziniert, die vor allem aus weissen, kubischen Formen besteht.

Ansichtskarte von Paul Klee an Hans Klee (Kairouan, Panorama), 15.04.1914 Privatbesitz Schweiz, Depositum im Zentrum Paul Klee, Bern, © Klee-Nachlassverwaltung, Hinterkappelen Paul Klee, Ansicht v. Kairuan, 1914, 73, Aquarell und Bleistift auf Papier auf Karton, 8,4 x 21,1 cm Franz Marc Museum, Kochel am See, Dauerleihgabe aus Privatbesitz

Tunesien Paul Klee, Tagebuch, 8. April 1914, Tunis

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«Die Synthese Städtebau­architektur Bild­architektur in Angriff genommen.»

Paul Klee, Tagebuch, 8. April 1914, Tunis

Synthese

In der geometrischen Schlichtheit der Gebäude erkennt Klee abstrakte Strukturen. Was er 13 Jahre zuvor in Italien bereits erahnt, wird hier zur Gewissheit: Er erkennt die Parallele zwischen einer städtebaulichen Architektur und dem Bildaufbau, der Struktur einer abstrakten Komposition. Klee bricht die Reise vorzeitig ab. Er will im Münchner Atelier sofort seine neuen Erkenntnisse umsetzen.

«Ich habe eine gewisse Unruhe mein Karren ist zu voll geladen, ich muss an die Arbeit. Die grosse Jagd ist zu Ende. Ich muss zerwirken.»

Paul Klee, Tagebuch, 19. April 1914, Tunis

In Nordafrika gelangt Klee zum Wesen seiner Bildsprache, an der er bis zu seinem Lebensende weiterarbeiten wird: Abstrakte Strukturen und Raster überziehen die Bildfläche, während Erinnerungen an Gegenständliches immer wieder auftauchen.

Paul Klee, (im Stil v Kairouan, ins gemässigte übertragen), 1914, 211, Aquarell und Bleistift auf Papier auf Karton, 12,3 x 19,5 cm Zentrum Paul Klee, Bern

Die Komposition lebt von der Vielfalt und den unterschiedlichen Helldunkelstufen der Farben sowie den gegensätzlichen Formen: Kreise und Rechtecke.

Paul Klee, , 1915, 117, Aquarell auf Papier auf Karton, 20,5 x 11,2 cm Privatbesitz Schweiz, Depositum im Zentrum Paul Klee, Bern

Die geometrischen Formen erinnern an Architektur, etwa die Dreiecke an Giebel oder das hohe Rechteck an einen Turm. Was wie ein abstraktes Bild wirkt, birgt bei Klee doch einen Bezug zur Wirklichkeit. Im Titel hebt er diesen Bezug noch hervor: «städtische Darstellung».

Paul Klee, Tiergarten, 1918, 42, Aquarell auf Grundierung auf Papier auf Karton, 17,1 x 23,1 cm Zentrum Paul Klee, Bern

Ende des Ersten Weltkrieges malt Klee leuchtend-bunte Aquarelle mit fantasievollen Motiven. Im Hintergrund bilden geometrische, farbige Flächen eine Art Gerüst, in dem Gegenständliches wie Tiere, Pflanzen, Berge oder ein Auge auftauchen.

Paul Klee, Städtebild (rot/grün gestuft) [mit der roten Kuppel], 1923, 90, Ölfarbe auf Karton auf Sperrholz genagelt; originale Rahmenleisten, 46 x 35 cm Zentrum Paul Klee, Bern, Schenkung Livia Klee

Während der 1920er-Jahre malt Klee vermehrt abstrakte Bilder. Trotzdem spielt er mit Halbkreisen an existierende Bauelemente wie eine Gebäudekuppel an, was im Werktitel ebenfalls zum Ausdruck kommt.

Die Komposition lebt von der Vielfalt und den unterschiedlichen Helldunkelstufen der Farben sowie den gegensätzlichen Formen: Kreise und Rechtecke.

Für Klee ist Abstraktion kein Gegensatz zur Figuration. Im Gegensatz zu den wichtigsten Kunstströmungen der Zeit entwickelt er einen Stil, der gegenständliche und abstrakte Elemente verbindet.

Südfrankreich 1927

1927 SÜDFRANKREICH
Beobachtung neuer Rhythmen

Paul Klee, Segelschiffe, 1927, 225, Bleistift und Aquarell auf Papier auf Karton, 22,8 x 30,2 cm Zentrum Paul Klee, Bern

Seit 1921 ist Klee als Professor am Bauhaus tätig, wo er Gestaltungslehre unterrichtet. Reisen in den Süden sind für Klee willkommene Ablenkungen vom Lehrbetrieb.

Klee ist auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn. Die Berufung ans Bauhaus bedeutet für den Künstler nicht nur materielle Sicherheit, er zählt damit auch zu den wichtigsten Künstlern seiner Zeit.

Die Institution ist mit ihren internationalen Künstlern eine Keimzelle der modernen Kunst und Architektur. Sie debattieren über grundlegende Fragen der Gestaltung: Inwieweit kann das Zusammenspiel von Farbe, Form und Struktur neu definiert werden, damit darin die Anforderungen des modernen Lebens zum Ausdruck kommen?

Das Bauhaus

1919 entsteht in Weimar unter der Leitung des Architekten Walter Gropius eine Institution für Gestaltungslehre mit einer pädagogischen Mission. Die künstlerische und die handwerkliche Ausbildung sollen zusammengeführt werden. Das Ziel ist ein praktisches Zusammenwirken von Kunst, Industrie und sozialer Lebensgestaltung. Die Liste der Bauhaus-Meister liest sich wie ein «Who’s Who» der Moderne: Josef Albers, Lyonel Feininger, Johannes Itten, Paul Klee, Wassily Kandinsky, László Moholy-Nagy, Oskar Schlemmer, Gunta Stölzl. Vergleichbar mit München und Paris wird das Bauhaus zur Drehscheibe einer internationalen Avantgarde, wo neue künstlerische Ausdrucksformen und gesellschaftliche Lebensreformen erprobt werden.

Am Bauhaus kann Klee seine Freundschaft mit Kandinsky wieder aufnehmen. In Dessau werden sie Nachbarn in den sogenannten Meisterhäusern. Das Verhältnis der beiden Künstler intensiviert sich durch die private Nähe. Sie trinken zusammen Tee und feiern gemeinsam Weihnachten und Silvester. Es verbindet sie eine freundschaftliche aber distanziert höfliche Beziehung. Während der um 13 Jahre ältere Kandinsky in München eindeutig der bekanntere Künstler war, befinden sie sich am Bauhaus auf Augenhöhe. Kandinskys künstlerische Mission ist die Entwicklung einer ungegenständlichen Kunst, die geistige Werte vermitteln soll. Klee hingegen sucht die Balance zwischen Abstraktion und Figuration. Im Bauhaus-Unterricht lehrt Kandinsky eher starre Gestaltungsregeln, Klee hingegen zeigt den Studierenden Möglichkeiten der Gestaltung auf, aus denen sie selber auswählen sollen.

Paul Klee und Wassily Kandinsky, Burgkühnauerallee 6-7, Dessau, 1929, Fotografin: Nina Kandinsky? Centre Pompidou, MnamCci, Paris, Bibliothèque Kandinsky

Doch bei aller Begeisterung für diesen ästhetischen Austausch – die Reglementierungen des Lehrbetriebs und die Fülle seiner Aufgaben sind für Klee auch eine starke Belastung. Er fühlt sich müde und eingeengt. Klees künstlerisches Schaffen leidet unter der zeitraubenden Lehrtätigkeit.

Auf den Ferienreisen in den Süden kann er sich erholen. 1927 hält er sich auf Porquerolles im Süden Frankreichs auf. Er zeichnet nur wenig und geniesst vor allem das warme Klima und gutes Essen.

  • Paul Klee auf dem Schiff von Portoferraio (Elba) nach Piombino, 1926, Fotograf: unbekannt Zentrum Paul Klee, Bern, Schenkung Familie Klee
  • Karla Grosch und Paul Klee auf der Insel Porquerolles, 1927, Fotograf: Felix Klee Zentrum Paul Klee, Bern, Schenkung Familie Klee, © Klee-Nachlassverwaltung, Hinterkappelen
  • Porquerolles, 1927, Fotograf: unbekannt Zentrum Paul Klee, Bern, Schenkung Familie Klee
  • Paul Klee auf der Insel Porquerolles, zwischen 28.7. u. 6.8.1927, Fotograf: Felix Klee Zentrum Paul Klee, Bern, Schenkung Familie Klee, © Klee-Nachlassverwaltung, Hinterkappelen

Südfrankreich Paul Klee, Brief an Lily Klee, Porquerolles, Mittwoch, 10. August 1927

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«Und das Colorit macht's, das suche ich ja immer wieder: Klänge wecken lassen, die in mir schlummern, ein kleines oder grosses Abenteuer in Farbe.»

Paul Klee, Brief an Lily Klee, Porquerolles, Mittwoch, 10. August 1927

Rhythmus

In den Ferien am Mittelmeer beobachtet Klee die Segelschiffe auf dem Wasser. Sie finden um 1927 vermehrt Eingang in Klees Bildwelt. Das Motiv fasziniert ihn. Der Gegensatz von eckigen und geschwungenen Formen trifft in diesen Bildern aufeinander. Gleichzeitig erzeugen die Linien und Formen den Eindruck der leicht schaukelnden Bewegung der Schiffe.

Paul Klee, Abfahrt der Schiffe, 1927, 140.1, Ölfarbe auf Leinwand auf Holz, 50 x 60 cm Zentrum Paul Klee, Bern
Paul Klee, Segelschiffe, leicht bewegt, 1927, 149, Feder auf Papier auf Karton, 30,5 x 46,3 cm Zentrum Paul Klee, Bern
Paul Klee, Segelschiffe, 1927, 225, Bleistift und Aquarell auf Papier auf Karton, 22,8 x 30,2 cm Zentrum Paul Klee, Bern
Paul Klee, Schiffe nach dem Sturm, 1927, 211, Kreide auf Papier auf Karton, 20,9 x 33,1 cm Zentrum Paul Klee, Bern, Schenkung Livia Klee

Klee erkennt in den Segelschiffen ein ideales Motiv, um seine Idee von Bewegung und Rhythmus zu verbildlichen. Es ist kein Zufall, dass die Muster in den Zeichnungen auch als Bewegungen eines Taktstocks interpretiert werden können.

Der Musiker Paul Klee

Klee kommt aus einem musikalischen Elternhaus. Sein Vater ist Gesangslehrer, seine Mutter Sängerin. Mit sieben Jahren beginnt er, Violine zu spielen. Nach dem Abschluss seiner Schulzeit kann sich Klee vorstellen, professioneller Musiker zu werden – und entscheidet sich für die Malerei. Bis zu seinem Lebensende spielt er Violine. Klee übersetzt musikalische Aspekte wie Takt, Rhythmus und Polyphonie (Mehrstimmigkeit) in die Kunst – mit geschmeidigen oder eckigen Linien, aber auch durch die Verwendung von Helldunkel-Kontrasten und Farbe. Regelmässig benutzt er musikalische Begriffe in seinen Bildtiteln.

Quintett im Atelier der Mal- und Zeichenschule Heinrich Knirr in München, 1900, Fotograf: unbekannt Zentrum Paul Klee, Bern, Schenkung Familie Klee

Bewegung

«Bewegung liegt allem Werden zugrunde.»

Paul Klee, Schöpferische Konfession, 1920

Für Klee ist Bewegung die Grundvoraussetzung für alles Leben und damit auch für jegliche Gestaltung. «Bewegung ist Norm», dies ist der Kernsatz seiner Gedanken zur bildnerischen Schöpfung. Er greift im Unterricht am Bauhaus auch auf Goethes wissenschaftliche Schriften zurück und erklärt die Bewegung nicht nur mit musikalischen Beispielen, sondern auch mit dem Wachstum von Pflanzen oder dem des menschlichen Körpers.

Paul Klee, Bildnerische Gestaltungslehre: I.4 Gliederung Zentrum Paul Klee, Bern

Ägypten 1928

1928 ÄGYPTEN
Bestätigung in der Vereinfachung

Paul Klee, Vorhaben, 1938, 126 Kleisterfarbe auf Papier auf Jute; originale Rahmenleisten, 75,5 x 112,3 cm Zentrum Paul Klee, Bern

Besonders in den Hieroglyphen entdeckt Klee eine konkrete Quelle für sein Schaffen. Aber auch die Landschaft regt ihn zu abstrakten Kompositionen an.

  • Ansichtskarte von Paul Klee an Lily Klee (Kairo / Cairo, Citadel and Egyptian Cemetery), 26.12.1928 Zentrum Paul Klee, Bern, Schenkung Familie Klee
  • Ansichtskarte von Paul Klee an Lily Klee (Kairo / Cairo, Native Turners), 29.12.1928 Zentrum Paul Klee, Bern, Schenkung Familie Klee
  • Ansichtskarte von Paul Klee an Felix Klee (Kairo / Cairo, The Sphinx and Pyramids), 25.12.1928 Zentrum Paul Klee, Bern, Schenkung Familie Klee

Vom 17. Dezember 1928 bis zum 17. Januar 1929 bereist Klee Ägypten: Kairo, Alexandria und die südlicheren Orte Luxor, Karnak und Assuan. Seine Eindrücke vergleicht Klee mit denen seiner ersten Reise in den Orient. Die Moscheen in Kairo empfindet er als zu kitschig und barock.

Die Weiterreise in den Süden Ägyptens versöhnt ihn aber mit dem ersten Kulturschock in Kairo. Er lebt sich ein und beginnt in Luxor, Karnak und Assuan, das Afrikanische – er bezeichnet es als «nubisch» – der Menschen zu schätzen.

Land­schafts-
kompo­sition

Im Gegensatz zu den abstrakten Stadtarchitekturen, die Klee in Tunesien unter freiem Himmel aquarellierte, verarbeitet er die Eindrücke Ägyptens nachträglich im Atelier zu strengen geometrischen Kompositionen.

Ansichtskarte von Paul Klee an Lily Klee (Ägypten / Egypt, Landscape showing Pyramids), 27.12.1928 Zentrum Paul Klee, Bern, Schenkung Familie Klee Paul Klee, Monument im Fruchtland, 1929, 41, Aquarell und Bleistift auf Papier auf Karton, 45,7 x 30,8 cm Zentrum Paul Klee, Bern

Rund um den Nil nimmt Klee einen Rhythmus in der Landschaft wahr, den er in seine Malerei überträgt. Horizontale Schichten gliedern den Bildraum. Er legt ihnen einen einfachen Zahlenrhythmus zugrunde: Die Aufteilung der Flächen erfolgt in 2, 4, 8 oder 16 Elemente. Auf diese Weise kann er den musikalischen Rhythmus im Bild darstellen.

Entwick­lung neuer Zeichen

Durch die Begegnung mit ägyptischen Hieroglyphen erhält das Zeichen für Klee eine neue Bedeutung.

Bereits während des Ersten Weltkrieges experimentiert Klee mit Buchstaben und Zahlen. Angeregt von arabischen Schriftzeichen, ägyptischen Hieroglyphen und prähistorischen Steinzeichnungen entwickelt er im Spätwerk eigene Schriftzeichen und Symbole.

Zeichen

Paul Klee, Legende vom Nil, 1937, 215, Pastell auf Baumwolle auf Kleisterfarbe auf Jute, 69 x 61 cm Hermann und Margrit Rupf-Stiftung, Kunstmuseum Bern

Die Linie hat für Klee eine besondere Bedeutung. Sie ist Mittler zwischen der sichtbaren und der unsichtbaren Welt. Klee stellt Menschen, Tiere und Pflanzen mit reduzierten Strichen dar. Bis zu seinem Tod im Jahr 1940 bleibt die Linie das zentrale, bildnerische Element in seinem Schaffen.

Mit dem Strich gestaltet er zeitlose universelle Symbole, die für alle Menschen, unabhängig von ihrem kulturellen Hintergrund und ihrem Alter, verständlich sind. Sie inspirieren und lassen Raum für individuelle Interpretationen.

Linie

Paul Klee, Park bei Lu., 1938, 129, Öl- und Kleisterfarbe auf Papier auf Jute; originale Rahmenleisten, 100 x 70 cm Zentrum Paul Klee, Bern

Ein Punkt setzt sich ohne konkretes Ziel in Bewegung und bildet damit eine Linie – diesem Phänomen gilt Klees Interesse. Die Bewegung und der Prozess sind Klee wichtiger als das Resultat, das bis zum Schluss offen bleibt. Ebendiese Offenheit macht seine Kunst so aktuell, interessant und einzigartig. Klee zeigt Wege auf, ohne das Ziel vorzugeben.

Für viele Kunstschaffende der Nachkriegszeit, die sich von den «Ismen» der Moderne zu lösen versuchten, ist Klee ein interessantes Vorbild. Denn er zeigt Wege auf, wie Impulse aus der Kultur oder den Naturwissenschaften in eine individuelle Bildsprache übersetzt werden können. Dabei geht es nicht um einen Stil, sondern um eine Haltung.

«Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.»

Paul Klee, Schöpferische Konfession, 1920

Geheimtipp

Geheim­tipp

2019 schickt das Zentrum Paul Klee über 130 Werke aus seiner Sammlung auf Tournee nach Brasilien. Die Ausstellung Equilíbrio Instável (Schwankendes Gleichgewicht) mit Stationen in São Paulo, Rio de Janeiro und Belo Horizonte wird von über 500‘000 Personen besucht. Angesichts der jüngsten politischen Entwicklungen in Brasilien und den damit einhergehenden Einschnitten ins kulturelle Leben bietet dieses Projekt dem Publikum in Brasilien eine seltene Gelegenheit, den Werken Klees im Original zu begegnen.

Ein erstaunliches Phänomen ist Paul Klees enorme Beliebtheit in Japan. Zahlreiche japanische Schriftsteller, Kunstsammler und Künstler haben sich intensiv mit Klee auseinandergesetzt. Ab 1960 finden in Japan regelmässig grosse Klee-Ausstellungen statt. Klee wird nicht nur in Museen, sondern sogar in Einkaufszentren gezeigt. Forscher erklären diesen Erfolg damit, dass Klees Bildsprache Parallelen zu den ästhetischen Traditionen Japans erkennen lässt. Kalligrafische Elemente, harmonische Kompositionen und Bilder mit grossem Interpretationsspielraum kennt das japanische Publikum aus der eigenen Tradition.

Paul Klee – Equilíbrio Instável, Centro Cultural Banco do Brasil, São Paulo, 12.02. – 29.04.19